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KI für ein gutes Altern: Ideenwerkstatt – ein Rückblick

Menschen aus Wissenschaft und Seniorenorganisationen zusammenzubringen und sich zu KI-Technologien für ältere Menschen auszutauschen – das war das Ziel unserer ersten KI-Ideenwerkstatt, die am 22. April 2024 in den Räumen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in Berlin stattgefunden hat.

 

Begrüßung

Susanne Wein, Leiterin des Referats „Bildung für ältere Menschen, Digitalisierung“, und Sebastian Wegner, Vorstandsmitglied der BAGSO, stimmten rund 40 Gäste auf das Thema „Künstliche Intelligenz für ein gutes Altern“ ein. Mit dabei waren unter anderem Vertreterinnen und Vertreter von Forschungsprojekten, Landesseniorenräten, Gewerkschaften, demokratischen Parteien, Bildungsanbietern und lokalen KI-Lernorten.

 

Impulsvortrag: Potentiale von KI für Ältere

Jonathan Petzold von der Körber-Stiftung erläuterte in seinem Impulsvortrag die Potentiale von Künstlicher Intelligenz für Ältere:

„Ein großes Potential von Künstlicher Intelligenz für das Alter liegt in der Überwindung von Zugangshürden. KI-gestützt können Geräte und Anwendungen z.B. durch native Sprache gesteuert werden, ohne dass Menschen erst die Nutzung lernen müssen. Dadurch erschließt sich eine ganze Welt an technologischen Möglichkeiten. Ältere Nutzende müssen also nicht mehr wissen wie. Sie müssen wissen was!“

Durch die Niedrigschwelligkeit von KI-Anwendungen könnten Ältere diese selbständig nutzen und sich damit ein großes Stück Unabhängigkeit bewahren. Die verschiedenen Formen von digitaler Kommunikation könnten dazu beitragen, familiäre Kontakte auch über eine größere räumliche Distanz zu pflegen oder auch gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe, beispielsweise an Stadtteilaktivitäten, zu ermöglichen. Einsamkeitsgefühle könnten mittels KI-Chatbots gelindert werden. Über KI-gestützte Gesundheitsapps könne zudem Prävention und Monitoring betrieben werden. Interfaces (Schnittstellen) zwischen den KI-Systemen und den Nutzenden würden hierbei in der Entwicklung immer ausgefeilter und ausgereifter: Die KI lasse sich im Alltag dadurch zunehmend intuitiv verwenden, sie antizipiere mit den Nutzenden und reagiere empathisch, so dass sie immer weniger als Gerät oder Maschine, sondern mehr als hilfreiche Begleitung im Alltag wahrgenommen werde. Ein weiteres Potential benannte Jonathan Petzold mit der Automatisierung von Prozessen: Im Bereich der Pflege könne KI Bürokratie-Aufgaben übernehmen und damit beispielsweise für Entlastung in der Pflegedokumentation sorgen, und auch standardisierte Aufgaben könnten übernommen werden, so dass dem Pflegepersonal mehr Raum für die „menschlichen“ Pflegeaufgaben bleibe.

 

Bremen Ambient Assisted Living Lab (BAALL)

Dr. Serge Autexier vom Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz Bremen stellte verschiedene Forschungsprojekte des Bremen Ambient Assisted Living Lab (BAALL) vor. KI ermögliche vieles: Das BAALL habe beispielsweise ein höhenverstellbares Waschbecken entwickelt, das mittels KI die Größe der sich davor befindlichen Person bestimmt und das Waschbecken selbsttätig an die erforderliche Höhe anpasst. Ein smarter Kleiderschrank könne aufgrund aktueller Wetterdaten Vorschläge für angemessene Kleidung am jeweiligen Tag machen und die Fächer aufleuchten lassen, in denen sich die Kleidungsstücke befinden. Ein selbstfahrender Rollstuhl könne Menschen von A nach B bringen, dabei Hindernisse umfahren und sogar einen Fahrstuhl nutzen. Technologien wie diese tatsächlich auch breit verfügbar zu machen, sei allerdings auch eine große Herausforderung.

Übrigens: Der KI-Lernort Bremerhaven besuchte das BAAL im August 2023. Einen Bericht dazu finden Sie im Artikel „Ausflug zur KI-Laborwohnung in Bremen“.

 

KI-unterstützte Steigerung der Mobilität und gesellschaftlichen Teilhabe von Senioren (KISS)

Daniel Eisenhardt erläuterte den aktuellen Stand des Projekts KISS der Ruhr-Universität Bochum und der Hochschule Ruhr West. Mobilität sei die Basis gesellschaftlicher Teilhabe, sozialen Austauschs und individueller Freiheit. Ziel des KISS-Projekts sei es daher, individuelle Mobilitätsbarrieren älterer Menschen zu verringern und sie in ihrem Mobilitätsverhalten zu stärken. Zu diesem Zweck hätten die beiden Hochschulen daher mit Unterstützung von Seniorinnen und Senioren ein KI-basiertes Handlungsempfehlungssystem entwickelt. Angepasst an die individuellen Anforderungen der Nutzenden, gäbe die Anwendung Strecken-Empfehlungen ab, welche individuell belastende Hindernisse wie Treppenstufen, Steigungen, Lautstärke oder Hitze vermieden. Aktuell arbeite man im Projekt zum Beispiel daran, relevante Daten zu identifizieren, schlechte Daten herauszufiltern und Zusammenhänge zwischen den Daten darzustellen. Besonderen Wert habe man zudem auf eine leichte und verständliche Bedienbarkeit gelegt: So müssten unter anderem klar-erkenntliche und eindeutige, dem Alter angepasste Symbole verwendet werden. Hinsichtlich der Bedienbarkeit solle die App auch ohne Hände über Sprachsteuerung nutzbar sein.

 

Lindera: Mobilitätsanalyse per App

Etwa ein Drittel aller über 60-Jährigen seien sturzgefährdet ist und die Hälfte aller gestürzten Personen haben ihre frühere Beweglichkeit nicht mehr wiedererlangt. Damit steigt Menia Ettrich von der Lindera GmbH ein. Lindera habe daher eine App entwickelt, die das Sturzrisiko mindern, die Angst vor Stürzen verringern und gefährdende Alltagssituationen für Anwenderinnen und Anwendern verbessern soll. In einer ausführlichen Sturzrisikoanalyse würden in der App zunächst Gesundheitsdaten und Krankheiten erfasst, anschließend identifiziere die KI vermeidbare Risikofaktoren wie z.B. Erkrankungen und Medikamente, Sinneswahrnehmung und Kognition, Gangbild oder Sturzvorgeschichte. Im Anschluss würden dann individuelle Maßnahmen vorgeschlagen, wie das persönliche Sturzrisiko gemindert werden kann. Derzeit wird geprüft, inwieweit die App als Digitale Pflegeanwendung eingeordnet und dadurch auch in den Leistungskatalog der Kassen aufgenommen werden kann.
Ein Video des KI-Campus stellt die App vor: Operation Zukunft – Mit KI Stürze vermeiden.

 

KI-Campus

Mike Bernd stellte die Lernangebote des KI-Campus vor. Der KI-Campus zeichnet sich durch kostenlose Lernangebote zu verschiedensten KI-Themen aus. Ein Schwerpunkt liegt dabei unter anderem bei KI in der Medizin und der Gesundheitsversorgung. Über Online-Kurse, Videos und Podcasts können sich Interessierte zu Anwendungsfeldern einer KI-unterstützten Gesundheitsversorgung informieren, die es für Praxen oder Kliniken beispielsweise auf dem Gebiet der Diagnostik, aber auch durch Alltagsanwendungen bereits gibt (z.B. Symptomprüfer, KI-basierte Muttermalscanner). Entwickelt werden diese Angebote in Kooperation mit einem Partnernetzwerk wie beispielsweise der Fernuniversität Hagen, der Charité oder dem Fraunhofer Institut. Die Aufzeichnung eines Vortrags im Rahmen des Projekts „KI für ein gutes Altern“ finden Sie hier.

 

Austausch

Nach den inhaltlichen Impulsen war Zeit zum Austausch angesagt. An den drei Thementischen „Wohnen“, „Gesundheit/Pflege“ und „Mobilität“ konnten die Gäste den Impulsgebenden Fragen stellen und sich gemeinsam Fragen widmen wie:

  • Welche Potenziale bieten KI-basierte Technologien?
  • Wo liegen die Herausforderungen?
  • Worauf muss bei der Entwicklung von KI-Systemen für Ältere geachtet werden?

Außerdem konnten Interessierte die „Mobilitätsanalyse per App“ selbst auszuprobieren.
Der Austausch an den Thementischen war rege und die Gelegenheit, das Potential von KI für Ältere herauszuarbeiten, Herausforderungen zu benennen sowie Forderungen oder Wünsche an die Entwicklerinnen und Entwicklern von KI-Technologien mitzugeben, wurde umfassend genutzt. Insbesondere für die Entwicklung der App KISS wurden wertvolle Tipps zum Weiterentwickeln der Anwendung direkt weitergegeben. Es wurden aber auch grundsätzlichere Potenziale entdeckt, Herausforderungen identifiziert und Forderungen formuliert, die bei der Entwicklung von KI-Systemen für ältere Menschen beachtet werden müssen.

 

Potentiale

Das Potential von KI-Systemen für ältere Menschen schätzen die Teilnehmenden der Ideenwerkstatt grundsätzlich hoch ein:

  • Selbständigkeit: Sie können dazu beitragen, auch im höheren Alter selbständig in der eigenen Häuslichkeit zu leben.
  • Bedienbarkeit: Sie können Geräte und Anwendungen einfach bedienbar machen.
  • Sie können Fertigkeitsintelligenz bieten: Während jeder Mensch Fähigkeiten individuell erlernen muss, kann bei Robotern Wissen durch Softwaretransfer einfacher übertragen werden.
  • Viele Einsatzfelder für KI im Bereich Gesundheit werden identifiziert, zum Beispiel:
    • KI als Unterstützung für medizinisches Personal, gerade bei Bürokratie, damit Ärzte und Pflegekräfte mehr Zeit für zwischenmenschliche Kontakte haben, dies kann helfen, Kosten und Ressourcen zu sparen.
    • KI kann helfen, Abläufe zu standardisieren.
    • KI in der Chirurgie: eventuell sogar präzisier als ein Mensch.
    • KI in der Bilderkennung: besser, schneller und präziser als Menschen.
    • KI kann Selbstbestimmung erleichtern, indem sie z.B. Briefe vom Arzt in leichtere Sprache „übersetzt“.
    • KI kann helfen, viele Daten miteinander zu vergleichen/ zu analysieren, kann so z.B. besser seltene Krankheiten erkennen oder beim Verschreiben von verschiedenen Medikamenten darauf achten, ob es zu Nebenwirkungen kommen kann.

 

Herausforderungen

Es müssen allerdings, darin sind sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer einig, noch viele Herausforderungen gemeistert werden:

  • Daten:
    • KI braucht digitalisierte und vor allem einheitliche Daten, allerdings ist die Digitalisierung noch nicht so weit, wie sie sein müsste. Oft liegen Daten nur sehr lückenhaft vor. Außerdem werden gleiche Daten unterschiedlich gesammelt und sind damit nicht vergleichbar.
    • Eine KI zu trainieren funktioniert nicht ohne Datensammlung, in diesem Bereich sei Deutschland sehr restriktiv und es gebe viele Bedenken innerhalb der Bevölkerung. Daraus ergäbe sich eine häufigere Datenspeicherung auf Servern im Ausland, wo noch weniger nachvollziehbar sei, ob und wie die Daten verwendet werden.
    • Transparenz von Daten: Wie kommen welche Daten zustande?
  • Datenschutz:
    • Welche Daten werden wie geteilt und wer darf darauf zugreifen bzw. darf dann was mit diesen Daten machen?
    • Einerseits braucht es klare Richtlinien, andererseits muss der Datenschutz teilweise reduziert werden, damit die KI Daten hat, mit denen sie arbeiten kann.
    • Entscheidung über Daten: Individuell oder einheitliche gesamtgesellschaftliche Regelung?
  • Entwicklung:
    • Es gibt viele spannende Entwicklungen, die meisten davon sind aber noch nicht so weit, dass sie wirklich umgesetzt werden können.
    • z.B. Auf Individualität des Wohnraums eingehen: Jede Wohnung / jedes Haus ist anders beschaffen, der eine hat Fliesen, die andere Stufen.
    • Haushaltsunterstützende Robotik (wie z.B. Gerät, das die Spülmaschine ausräumt oder Kleidung faltet und in den Schrank legt) ist nach wie vor sehr schwierig zu entwickeln.
  • Bildung:
    • KI-Anwendungen ergeben nur dann Sinn, wenn es Unterstützungs-/Fortbildungsangebote für Menschen mit wenig digitaler Erfahrung gibt, damit auch sie diese Angebote nutzen können.
    • Die aufgeheizte KI-Diskussion in der Öffentlichkeit erschwert es, KI-Wissen zu vermitteln und Ängste zu nehmen. Gerade jene, die sich entsprechende Informationen nicht proaktiv einholen, sind schwer zu erreichen.
    • Auch medizinisches Personal muss dahingehend geschult werden, wie mit Daten, die Patientinnen und Patienten selbst (mit Hilfe von KI) erheben, umgegangen wird.
  • Ethische Fragen:
    • Welche Tätigkeiten wollen wir überhaupt von einer KI durchführen lassen, gerade in Bezug auf Mensch-Maschine-Interaktionen: Teilweise konsequentes Ablehnen von KI in der Pflege, andererseits wird der Personalmangel in der Pflege betont.
    • Kompetenzverlust bei Ärzten und Ärztinnen, wenn diese sich z.B. beim Stellen von Diagnosen zunehmend auf eine KI verlassen?
  • Entscheidungsfreiheit:
    • Jeder Mensch sollte selbst entscheiden können, ob und inwieweit er KI-Anwendungen nutzt oder nicht.
    • KI-basierte Systeme und auch die mittels KI erstellten Inhalte sollten daher klar erkennbar als solche gekennzeichnet werden.
    • Spannungsfeld: Bestehen innerhalb einer Bevölkerungsgruppe (wie z.B. den Älteren) viele Bedenken gegenüber KI-Anwendungen und entscheiden sich hier viele Menschen gegen eine Nutzung, so entsteht am Ende für diese Gruppe möglicherweise erst recht ein Bias.
    • Aber auch: Fachkräftemangel, Bewältigung von zu viel Bürokratie, Abgehängt-Werden von technologischer Entwicklung: Können wir uns angesichts allein dieser Herausforderungen überhaupt erlauben, KI nicht zu wollen?

 

Worauf muss bei der Entwicklung geachtet werden?

  • Ältere aus unterschiedlichen Regionen und mit verschiedenen Bedürfnissen müssen in die Entwicklung solcher Angebote eingebunden werden.
  • Menschen nicht ersetzen: Im Bereich der Pflege sollte KI nur assistieren, nicht die Pflegekraft ersetzen.
  • Wichtig für uns als Gesellschaft (und auch staatenübergreifend) zu definieren, welche Regeln wir für die Nutzung von KI festlegen wollen (Regulierung).
  • Eine Alternative zu KI-Anwendungen sollte es immer geben, so dass den Menschen die Wahlfreiheit bleibt.
  • Es muss auf Barrierefreiheit geachtet werden. Hinsichtlich der Anwendbarkeit von KI-Anwendungen auch Beeinträchtigungen wie Seh- oder Hörbeeinträchtigung berücksichtigen. Grundsätzlich muss Barrierefreiheit gewährleistet sein und es braucht sowohl die visuelle wie auch eine akustische Zugänglichkeit. Und visuelle Zugänge sollten so gestaltet werden, dass auch Menschen mit starken Sehbeeinträchtigungen sie nutzen können.
  • Einfache Bedienbarkeit:
    • Wunsch der Teilnehmenden: Gerät müsste direkt starten, wenn aus der Packung genommen, am besten über einen Kommunikationskanal wie einen Sprachassistenten.
    • Hinweis aus der Wirtschaft: Aufklärung über Datenschutzeinstellungen etc. steht dem „Sofortstart“ bislang im Wege, ist schwierig in der praktischen Umsetzung.
    • KI kann Dinge einfach bedienbar machen – dies sollte dann aber auch störungsfrei funktionieren und es darf nicht zu einem Bruch in den Systemen kommen.
  • Zugang und finanzierbare Technologien: sinnvolle Technologien müssen als Kassenleistung bzw. in den Hilfsmittelkatalog aufgenommen werden.
  • Als Grundlage bessere Versorgung mit stabilem und schnellem Internet, besonders im ländlichen Raum.

Vielen Dank an alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer! Wir freuen uns auf die nächste Ideenwerkstatt am 7. November 2024 in Köln.