Folgende Geschichte ist in unserem Workshop „Kreativ mit KI“ entstanden.
An einem besonders grauen und dumpfen Dezembertag, als die Münchner Innenstadt unter einer Kälte lag, die selbst den Glühwein zum Frieren brachte, schlich sich Ludwig Hingerl, pensionierter Kunsthistoriker und bekennender Anhänger des absurden Humors, ins Valentin-Karlstadt-Musäum. Der Ort war sein Zufluchtsort geworden, ein Hort des Unsinns, wo die Welt für einen Moment auf den Kopf gestellt war – was für Ludwig, der seine Tage in den staubigen Archiven der Realität verbrachte, eine willkommene Abwechslung darstellte. Hier schienen die Dinge zwar keinen Sinn zu ergeben, aber das tat sie in der Welt da draußen ja auch nicht – nur mit weniger Charme.
Ludwig, der eine ausgeprägte Vorliebe für das Absurde und das Unbegreifliche hatte, war heute auf der Suche nach nichts Bestimmtem. Er schlenderte durch die Gänge, als ihn plötzlich etwas bremste. Seine Füße wurden schwerer, fast klebrig – und er sah hinunter. Da war sie: die ominöse Schneeplastik, oder besser gesagt, das, was von ihr übrig war. Eine traurige Pfütze, die mehr an einen verirrten Wasserschaden erinnerte als an ein Kunstwerk. Daneben ein handgeschriebener Zettel: „Die geschmolzene Schneeplastik. Schneckenbauer, 2024.“
Ludwig lachte leise in sich hinein. „Na, wenigstens tropft die Kunst hier nicht nur aus dem Hirn, sondern auch aus der Vitrine.“ Und trotzdem, etwas an dieser seltsamen Installation ließ ihn innehalten. Wer war dieser Schneckenbauer? Und warum schmolz das Kunstwerk gerade hier, im kühlen Valentin-Karlstadt-Musäum, wo der Humor so trocken war, dass selbst der Schnee hätte durchhalten müssen?
Ein Schneemann ohne Kopf
„Geschmolzen… in einem beheizten Museum?“ Ludwig kratzte sich am Kopf. „Da hätte man auch einen Schneemann aus Zucker auf den Marienplatz stellen können.“ Aber es war ja kein gewöhnlicher Schneemann, nein, das Schild sprach von einer „Schneeplastik“. Die Worte klangen in Ludwigs Kopf, wie ein schlechter Witz ohne Pointe. „Ein Plastik, das keine Plastik ist und nicht mal mehr Schnee! Wahrscheinlich war es nur ein besonders feuchter Minimalismus,“ murmelte er schmunzelnd und machte sich daran, den Namen „Schneckenbauer“ zu recherchieren.
Zurück in seiner Altbauwohnung, die nach alten Büchern und leicht feuchtem Tapetenkleister roch, begann er, in seinem Fundus zu wühlen. Alte Kataloge, verstaubte Bücher und absurde Theorien über Kunst fanden sich dazwischen – doch Schneckenbauer? Fehlanzeige. Kein Eintrag. Kein Hinweis. „Wie ein Kunstwerk, das so minimalistisch ist, dass es gar nicht erst existiert,“ flüsterte Ludwig in seinen Bart. „Das ist ja fast wie das Theaterspiel ohne Zuschauer. Wenn keiner hinschaut, war’s dann wirklich Kunst?“
Dann stieß er auf eine vergilbte Seite aus einem alten Theaterblättchen aus den Achtzigern. „Der Schneemann vom Glockenbachviertel“ stand da, und Ludwig fiel fast vom Stuhl. „Aha, Schneckenbauer, der Phantomkünstler!“ Es gab also doch Hinweise, allerdings eher verschwommen wie die Buchstaben auf dem alten Zettel. Angeblich tauchten seine Werke nur in besonders kalten Winternächten auf, und zwar nur für jene, die „schauen, ohne zu sehen“. Ein ziemlich künstlerisches Kauderwelsch, fand Ludwig, aber es machte ihn neugierig. Was war das für eine Art von Künstler, der nur dann existierte, wenn keiner so genau hinsah?
Der kunstvolle Schneesturm
Ludwig stapfte die nächsten Tage durch Münchens winterliche Straßen wie ein Mann, der mehr Fragen als Antworten hatte. Seine Recherchen führten ihn tief in die urbane Legende des Schneckenbauers. Der Künstler soll in einer eisigen Nacht des Jahres 1989 eine monumentale Schneeskulptur auf der Straße errichtet haben – direkt vor dem Café Schmalznudel, wo sie vom ersten Sonnenstrahl ergriffen und in einer Sekunde davonschmolz. Die wenigen Zeugen schworen, sie hätten kurz einen gigantischen Schneemann mit einem Hut gesehen, dessen Zylinder den Sternenhimmel berührte. Doch als sie zweimal hinsahen, war nur noch eine schmelzende Pfütze übrig. Ein Meisterwerk der Vergänglichkeit – oder einfach ein schlecht geplantes Happening, wie Ludwig insgeheim vermutete.
Dann, eines Abends im Januar, als Ludwig sich mit einem heißen Tee vor dem Kamin aufwärmte und ein altes Theatermanuskript las, klopfte es plötzlich an seinem Fenster. Als er den Vorhang beiseite schob, sah er, dass es schneite. Doch dieser Schnee war seltsam – dicht, beinahe schwerelos, und er schien in einem Kreis um den Fensterrahmen zu tanzen. „Na super,“ murmelte Ludwig. „Jetzt schneit es schon innerhalb der Fensterrahmen.“
Er öffnete das Fenster, und eine eisige Brise fuhr herein. Vor ihm, auf dem Gehweg unter dem flackernden Straßenlicht, lag eine Spur – kleine, zarte Fußabdrücke im Schnee, die direkt zu seiner Tür führten. Ohne lange nachzudenken, griff er nach seinem Mantel und folgte der Spur. Sie führte ihn durch die stillen Straßen der Stadt, immer tiefer hinein in die verschneiten Gassen. Die Spuren schienen ohne jegliche Logik zu verlaufen, als wäre derjenige, der sie hinterlassen hatte, selbst unsicher gewesen, wohin er ging.
Das frostige Finale
Schließlich blieb Ludwig vor einem unscheinbaren Gebäude stehen. Es war die alte Apotheke „Zur Goldenen Schneeflocke“, die schon lange leerstand. Doch heute war das Licht an. Drinnen stand eine einzelne Gestalt in einem langen Mantel, ihr Gesicht hinter einem nebligen Hauch verborgen. Ludwig trat näher. „Schneckenbauer?“ rief er in die Kälte hinaus. Doch die Gestalt antwortete nicht, sie bewegte sich nicht einmal. Langsam, fast zögerlich, öffnete Ludwig die Tür.
Der Laden war leer, abgesehen von einer einzigen, makellosen Schneeskulptur auf der Theke. Eine winzige Figur, zart und zerbrechlich, wie von unsichtbarer Hand geformt. „Das ist doch jetzt… ein Witz, oder?“ murmelte Ludwig, während er die Skulptur betrachtete. Und doch spürte er, wie sich die Raumtemperatur senkte. Die Luft wurde kälter, dicker, und plötzlich fiel das Licht auf die Skulptur. Ein einzelner Sonnenstrahl, der durch das Fenster drang. Und dann geschah es. Die Skulptur begann zu schmelzen. Erst langsam, dann schneller, bis nur noch eine Pfütze blieb. Am Ende, als die letzte Spur der Schneeplastik in der Pfütze verschwand, formten sich dort plötzlich, wie von unsichtbarer Hand geschrieben, zarte Buchstaben. Ludwig beugte sich näher, um die Worte zu lesen. Sie lauteten:
„Was bleibt, ist das, was du nicht festhalten kannst.“
Ein leichtes Lächeln huschte über Ludwigs Gesicht. Genau das war es. Die Kunst, das Leben – all das, was zwischen den Fingern zerrann, wie Schnee im Sonnenlicht. Die tiefste Wahrheit lag oft in dem, was nicht greifbar war.