Was braucht es, um KI-Kompetenzen zu vermitteln? Welche Rolle spielt KI für Altersdiskriminierung bzw. kann sie auch dagegen eingesetzt werden? Haben Technologien das Potenzial Einsamkeit zu verringern? Wie können soziale Roboter in der Pflege eingesetzt werden?
Um Fragen wie diese ging es am 7. November bei der zweiten Ideenwerkstatt des Projekts KI für ein gutes Altern. Ziel der Veranstaltung war es, den Austausch zwischen Forschung und Entwicklung und Seniorenorganisationen im Bereich Künstliche Intelligenz anzuregen.
Nach vier Vorträgen aus der Wissenschaft kamen die rund 40 Teilnehmenden an Thementischen zu KI-Kompetenzen, Altersdiskriminierung, Einsamkeit sowie sozialen Robotern in der Pflege zusammen und brachten sich in einem regen Austausch mit weiteren Perspektiven und Erfahrungen ein.
KI-Kompetenzen mit Alltagsbeispielen erwerben
Zum Einstieg stellte Dr. Bill Pottharst (Hochschule Bielefeld) das Praxisforschungsprojekt „Selbstbestimmt im Quartier durch Technikaneignung“ vor. Im Fokus stehen dabei die Fragen: Wie erreichen (KI-)-Technologien ältere Menschen im Quartier? Wie werden diese angeeignet? Pottharst bestätigte aus wissenschaftlicher Perspektive viele Erfahrungen, die auch im Projekt KI für ein gutes Altern gemacht wurden. Zum Beispiel, dass Technikaneignung bzw. der Kompetenzerwerb in Sachen KI höchst voraussetzungsvoll ist, sozialräumliche Rahmenbedingungen erfordert und dass die Vermittlung idealerweise an alltagsnahen Anwendungsbeispielen erfolgen sollte. Am Thementisch „KI-Kompetenzen“ wurden folgende Fragen diskutiert:
Wie gelingt es, dass Ältere sich KI-Technologien öffnen?
Viele Teilnehmende erleben bei älteren Menschen eine große Hemmschwelle und Vorbehalte gegenüber dem Thema Künstliche Intelligenz. Empfohlen wurde daher, zunächst überhaupt die Neugier zu wecken und den persönlichen Nutzen und Mehrwert von KI-Systemen aufzuzeigen. Für den einen kann das eine Pflanzenerkennungsapp sein, die ihm beim Spazierengehen und Wandern neue Erkenntnisse und Spaß an Technik bietet. Für die andere ist es dagegen vielleicht das Behördenschreiben zur Beantragung eines Pflegegrads, das sich sehr viel leichter mit Unterstützung von Textgeneratoren wie ChatGPT erstellen lässt. Die Neugier auf KI-Technologien wird, da sind sich alle Teilnehmenden einig, in hohem Maße durch persönliche Interessen und individuelle Erfahrungen beeinflusst.
Wie lassen sich KI-Kompetenzen vermitteln?
Um digitale oder technische Kompetenzen zu vermitteln, ist ein praxisorientierter Ansatz entscheidend. Besonders wichtig sei Zeit, Geduld und Ruhe beim Zeigen und Erklären grundlegender Funktionen, z.B. eines Sprachassistenten. Anschließend sei es wichtig, die Teilnehmenden Geräte und Anwendungen selbst ausprobieren zu lassen. Zur Unterstützung sollten bebilderte Anleitungsdokumente bereitgestellt werden, die Schritt für Schritt durch die Anwendungen führen. Ein Nachfassen, ob beim Üben zu Hause alles klappt, helfe, Unsicherheiten zu klären und den Lernfortschritt zu sichern. Der Schlüssel läge im Üben, denn „die Wiederholung ist die Mutter des Lernens.“ Technische Geräte ließen sich am besten verstehen, indem man sie selbst anfasst, dreht, wendet und ausprobiert.
Welche Veranstaltungsformate sind geeignet, um KI-Kompetenzen zu vermitteln?
Geeignete Veranstaltungsformate, die sich auch zum Einstieg in das Vermitteln von KI-Kompetenzen eignen, seien laut den Teilnehmenden niederschwellige Angebote wie Smartphone-Stammtische oder Kaffeenachmittage in einer entspannten Wohlfühlatmosphäre. Hier könnten nebenbei dann auch KI-basierte Anwendungen thematisiert werden. Außerdem böten sich Kleingruppenveranstaltungen oder Einzelsprechstunden an, die an spezifischen Interessen oder individuellen Fragen anknüpfen. Wichtig sei stets, die Vielfalt der älteren Zielgruppe zu berücksichtigen und die Teilnehmenden dort abzuholen, wo sie gerade stehen – sowohl inhaltlich als auch sprachlich. Der Fokus solle darauf liegen, Themen zu finden, die Neugier wecken und motivieren.
Altersbilder durch KI systematisieren
Prof. Verena Klusmann-Weißkopf (Hochschule Furtwangen) ging zunächst auf unterschiedliche Altersbilder, also positive und negative Wahrnehmungen von alten Menschen, Alten und Altsein ein. Altersbilder prägen wir uns ab frühester Kindheit ein und setzen sich so in unseren Köpfen fest. Negative Altersbilder können leicht zu Diskriminierung älterer Menschen führen. Ziel des Projekts „KImAge“ ist zunächst eine KI-gestützte Systematisierung von Altersbildern, um letztendlich die Strukturen, das Vorkommen und die Bedeutungen von Altersbildern zu klären. Letztendlich sollen damit Ansatzpunkte zur Förderung differenzierter Altersbilder gefunden werden und die Altersfreundlichkeit erhöht werden. Am Thementisch „KI und Altersdiskriminierung“ wurden folgende Fragen diskutiert:
Welche Potenziale bieten KI-basierte Technologien bei der Bekämpfung von Altersdiskriminierung?
KI könne dazu genutzt werden, Altersbilder positiver zu gestalten. KI müsse dafür entsprechend mit positiveren Altersbildern gefüttert werden. Durch eine vielfältige Bilderwahl könne die Diversität und die Heterogenität im Alter besser sichtbar gemacht werden. KI sei jedoch nie wertfrei, da immer eigene Ideen und Vorstellungen mit einfließen. Möglicherweise könnte KI auch dazu beitragen, dass neben Merkmalen wie Alter, Geschlecht oder Ethnizität vollkommen neue Kategorien entwickelt werden. KI könne ggfs. objektiv Bilder clustern und möglicherweise zur kritischen Betrachtung bestehender Vorstellungen führen. KI-basierte Stimmenanalyse könnte für ältere Personen hilfreich sein: Wenn erkannt wird, dass eine ältere Person anruft, könnten bei Dienstleistungen passende Hilfestellungen angeboten werden.
Wo liegen die Herausforderungen von KI-Systemen bezogen auf Altersdiskriminierung?
Beispiele für Altersdiskriminierung in der digitalen Welt gäbe es viele, so z.B. beim Online-Banking, bei der Nutzung von E-Rollern oder auch der Online-Kommunikation, da hier viele Personen aufgrund fehlenden Wissens nicht teilhaben können. Ein weiteres Beispiel für Altersdiskriminierung seien Kredite, die ab einem bestimmten Alter nicht mehr genehmigt werden. Dies würde für Banken durch KI-basierte Berechnungen noch einfacher werden.
Aktuell zeichnen, so eine Teilnehmerin, Bildgeneratoren Menschen mit Beeinträchtigungen und insbesondere Sinneseinschränkungen weich, was dazu führen würde, dass die Personen in ihrer Gesamtheit und mit ihrer Einschränkung nicht wahrgenommen werden. Dies müsse entsprechend trainiert und auch in diesem Bereich eine Diversität dargestellt werden.
Kritisiert wurde von den Teilnehmenden außerdem, dass so viele Daten genutzt werden und keine Transparenz gewährleistet sei, was mit diesen Daten geschehe.
Worauf muss bei der Entwicklung von KI-Systemen für Ältere geachtet werden?
KI könne als Spiegel der Gesellschaft angesehen werden, sodass hier ebenfalls Altersdiskriminierung deutlich werde und sogar verstärkt werden könnte. Entsprechend brauche es eine Kontrollinstanz bzw. Gesetze und ein Regulativ für das Datenmaterial.
Kommunikation mit dem Tastsinn verbinden
Im Projekt „ToCaro“ wird untersucht, ob Technologie durch taktile und haptische Interaktion, also z.B. Berührungen, das Gefühl physischer Nähe in der Fernkommunikation vermitteln oder ersetzen kann. Dafür wird ein Kommunikationsgerät entwickelt, das nicht nur akustisch und visuell, sondern auch durch Ansprache des Tastsinns funktionieren soll. Hannah Fischer vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz stellte unter anderem den partizipativen Forschungsansatz des Projekts vor, bei dem ältere Menschen durch Interviews, durch einen Fühl- und Interaktionsparkour und durch das Erstellen eines „Wunsch-ToCaros“ (z.B. ein Telefonier-Ball, ein Kummerkästchen oder ein Notfallknopf) ihre Bedürfnisse und Wünsche einbringen konnten. Am Thementisch „Einsamkeit“ wurden folgende Fragen diskutiert:
Haben Technologien das Potenzial Einsamkeit zu verringern?
Einige Teilnehmenden sehen in Technologien durchaus die Möglichkeit, Einsamkeit zu lindern, jedoch überwiegt bei vielen eine eher skeptische Haltung. Einig sind sich alle darin, dass Technik Menschen oder Interaktion nicht ersetzen dürfe. Wenn persönliche Begegnungen wie z. B. in Lockdown-Zeiten nicht möglich seien, könnten Technologien helfen, die Nähe zueinander aufrechtzuerhalten. Zugleich besteht bei den Teilnehmenden die Befürchtung, dass Technologien auch für den Rückgang von persönlichen Kontakten sorgen, denn „dann müsse man sich nicht mehr treffen“. Die Teilnehmenden weisen auf die Verantwortung von Forschung und Entwicklung hin, diese negativen Nebenwirkungen zu berücksichtigen.
Welche Potenziale bieten KI-basierte Technologien?
Die größte Kommunikationsfläche des Menschen sei die Haut, daher könne eine Technologie wie ToCaro, die auf Haptik basieren soll, Potenziale bieten: Wenn persönlicher Kontakt nicht möglich sei, könne damit trotzdem „körperlich“ kommuniziert werden. Kognitiv oder motorisch eingeschränkten Menschen könnte mit (KI-) basierten Technologien die Kontaktaufnahme oder Interaktion erleichtert werden. Wenn Emotionen über Sensorik vermittelt würden, könnte dies auch einen Mehrwert für Gehörlose bieten. Wenn Gefühle nicht in Worte gefasst werden können, könnten Emotionen in abstrakter Form, z.B. Licht, ausgedrückt werden. Hingewiesen wurde außerdem darauf, dass auch Gerüche Nähe schaffen oder an bestimmte Situationen/Personen erinnern können: KI- Technologien könnten hier somit herkömmliche Kommunikationstechnologien erweitern.
Wo liegen die Herausforderungen von KI-basierten Technologien?
Die Teilnehmenden äußern die Befürchtung, dass neue Geräte mit hohen Preisen einhergehen. Vorgeschlagen wurde daher die Integration der neuen Ansätze in bestehende Technologien wie Laptop und Computermaus. Außerdem wurden Bedenken bezüglich des Datenschutzes geäußert: Welche Daten werden für Nutzung (von ToCaro oder ähnlichen Technologien) benötigt und wie werden sie verarbeitet? Die Funktion einer möglichen „Umarmung“ wurde eher negativ bewertet und als keine Bereicherung gegenüber bestehenden Technologien eingeschätzt.
Worauf muss bei der Entwicklung von KI-Systemen für Ältere geachtet werden?
Einige Teilnehmende betonten, dass unter anderem aufgrund ihrer Erfahrungen mit Menschen mit Demenz eine menschliche oder tierische Form des zu entwickelnden Geräts hilfreich sei. Außerdem müsse eine intuitive Handhabung und Bedienungshilfen (z.B. Kurse, Videos) gewährleistet sein. Ältere Menschen müssen bereits beim Design-Prozess beteiligt werden. Außerdem sollten grundsätzlich analoge Angebote aufrechterhalten werden, um die Zugänglichkeit für ältere Menschen zu gewährleisten.
Mit Robotern reden
Einsatzmöglichkeiten für robotische Systeme sind in verschiedenen Bereichen der Pflege denkbar. Sie könn(t)en z.B. Wäsche transportieren, bei der Mobilität unterstützen oder beim Heben helfen. Soziale Roboter sind speziell für die Interaktion und Kommunikation mit Menschen entwickelt. Dr. Judith Schoch berichtete über die Erfahrungen der Evangelischen Heimstiftung, was der soziale Roboter Navel im Pflegeheim leisten kann. Navel nutzt ChatGPT für die verbale Kommunikation. Genutzt wird er z.B. für Fragen nach dem Wohlbefinden, für aktivierende Fragen oder für Unterhaltungen. Bisher wurden durchaus positive Auswirkungen auf die Bewohnerinnen und Bewohner wahrgenommen. Allerdings müsse der Roboter gut begleitet werden, die Mitarbeitenden ausreichend informiert werden und die ein oder andere technische Hürde überwunden werden.
Am Thementisch „Soziale Roboter“ wurden folgende Fragen diskutiert:
Wo liegen die Potenziale sozialer Roboter in der Pflege?
Die Teilnehmenden sehen verschiedene Potenziale im Einsatz sozialer Roboter, darunter eine Entlastung für Pflegekräfte: Roboter könnten Pflegekräfte vor allem bei Tätigkeiten unterstützen, die körperlich belastend sind, aber auch bei der Kontrolle der Medikamenteneinnahme und bei der Pflegedokumentation. Allerdings gebe es andere technische Lösungen für diese Aufgaben, die vielleicht praktikabler als ein Roboter sind. Die Teilnehmenden sehen auch Chancen in der emotionalen Betreuung: Im Alltag hätten Pflegekräfte oft keine Kapazitäten, um lange Gespräche mit Patientinnen und Patienten zu führen, diese Aufgabe könne ein sozialer Roboter übernehmen, gerade z.B. bei Menschen, die ein großes Bedürfnis haben, mit anderen zu sprechen. Roboter sollten stets als Unterstützung für Pflegekräfte verwendet werden und keine Menschen ersetzen.
Wo liegen die Herausforderungen sozialer Roboter in der Pflege?
Die Teilnehmenden befürchten, dass der Einsatz von Robotern die persönliche Beziehung zwischen Pflegekräften und Patientinnen und Patienten beeinträchtigen könne. Es wird betont, dass menschliche Interaktion nicht vollständig ersetzt werden kann. Die Einführung von Robotern könnte dazu führen, dass pflegebedürftige Personen weniger soziale Interaktionen erfahren, was zu Vereinsamung führen könne. Besonders menschliche Interaktionen seien für den Beruf der Pflege wichtig, eventuell würden sich weniger Menschen für diesen Beruf entscheiden, wenn dieser Aspekt wegfällt. Die Tatsache, dass Pflegekräfte im Alltag oft nicht genug Zeit für z.B. Gespräche haben, könne nicht dadurch behoben werden, dass Roboter dafür eingesetzt werden. Die Betreuung der Roboter (Einrichtung, Wartung, Schulungen für den Umgang etc.) stelle eine zusätzliche Belastung für Pflegekräfte dar. Es sollte sorgfältig überlegt werden, in welchen Bereichen Roboter eingesetzt werden können und sollen. Außerdem wurde diskutiert, ob Roboter als realistische Lösung gesehen werden können oder ob es hierbei häufig zu überzogenen Erwartungen komme.
Worauf muss bei der Entwicklung von KI-Systemen für Ältere geachtet werden?
Die Teilnehmenden weisen darauf hin, dass Schulungen für Pflegekräfte und Gepflegte angeboten werden sollten, um die Akzeptanz und den Umgang mit der Technologie zu fördern. Es wird außerdem angeregt, ältere Menschen aktiv in die Entwicklung und Gestaltung von Pflegerobotern einzubeziehen, um deren Bedürfnisse besser zu berücksichtigen.
Übrigens: Einen Rückblick zur ersten Ideenwerkstatt mit den Schwerpunktthemen Wohnen, Gesundheit und Mobilität finden Sie hier.