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Reise in die Zukunft: KI-Geschichten schreiben

Angeregt durch „KI für ein gutes Altern“ beteiligte sich unser Kollege Jürgen Beling, engagiert beim KI-Lernort in Trier (Wohnprojekt zak Wohnpakt und Seniorenbüro Trier), am Literaturwettbewerb „Die Welt im Jahr 2050“ einer Trierer Zeitung und hat es auf die Shortlist geschafft. Wir finden: Auch das ist eine tolle Möglichkeit, sich mit dem Thema „Künstliche Intelligenz“ zu befassen: die eigenen Fantasien, Wünsche und Sorgen aufzuschreiben und darüber ins Gespräch zu kommen. 

Geschenk zum hundertsten Geburtstag

2050, ich sitze allein am Frühstückstisch. Im Heim hat mir jemand zum Geburtstag einen Glückwunschbrief neben den Teller gelegt, natürlich vom Computer gemacht. Die Maisonne scheint darauf. Daneben liegt mein Handy zum Aufzeichnen, ich kann es kaum erkennen im Sonnenlicht. Ich schaue mich um. An den anderen Tischen sitzen sie zum Teil zu zweit; man hört etwas Geklapper von Geschirr. Mein Urenkel will mir ein Geschenk machen – er will mit mir reden. Welch schönes Geschenk! Das ist so selten geworden, heutzutage. Ich setze meine Kappe gegen die Sonne auf.

„Ah, da bist du ja.“ – wir tauschen ein paar flüchtige Begrüßungen, einen Glückwunsch. Er will mich interviewen, er will etwas von mir wissen, will mir berichten, wie es bei ihnen heute zugeht. Ich schalte meine Aufzeichnungsapp für das Gespräch ein, lasse mitschreiben als „Enkel“ und „Großvater“, das geht von alleine. Er fängt gleich mit einer Frage an:

Enkel: Wie war es denn früher in der Schule? Was für Fächer hattet ihr? Was hast Du gelernt? Wie sah eure Zukunft nach der Schule aus?

Großvater: Wir haben alles gelernt, was man so können musste im Leben: Lesen, Schreiben, Rechnen. Später dann Physik und die Naturwissenschaften. Auf weiterführenden Schulen gab es dann Spezialwissen zu vielen möglichen Fächern, z.B. Medizin, Technik. Dann wurde Mensch Arzt oder Ingenieur. Man hatte viele Freiheiten, wie man sein Glück im Leben finden wollte.

Enkel: Das ist heute ja gar nicht mehr so; das können die PCs, die Maschinen, alles besser. Wir lernen eigentlich in den Grundschulen hauptsächlich, wie wir mit den PCs und der KI umgehen müssen, wie man sie bedient und so weiter. Dazu müssen wir ein bisschen schreiben und rechnen können.
Da gibt’s schon manchmal Konflikte; die Maschinen wollen nicht, dass wir zu komplex denken und sprechen. Aber kämpfen für die Aufrechterhaltung von persönlicher Freiheit tut keiner. Die PCs oder die Handys haben es irgendwie super gelernt, uns dauernd von solchen Gedanken abzulenken. Es gibt aber viele Fächer heute im Jahr 2050, die ihr noch gar nicht kanntet.

Großvater: Welche zum Beispiel?

Enkel: Wir haben jetzt Meditation als Schulfach. Ich habe auch Empathie-Unterricht und GFK, das ist „Gewaltfreie Kommunikation“ – wie man gut zuhört, warum der andere etwas sagt und wie man am besten antwortet, ohne dass gleich Ärger losgeht. Wir haben auch Wertkunde. Da unterhalten wir uns darüber, was man machen soll und was nicht. Was christliche Werte früher waren und so Sachen. Am Nachmittag gibt’s dann Wahlfächer, z.B. zum Umgang mit Krisen und Gefahren, etwa sich nicht selbst zu gefährden.
Auf den Fachschulen lernen wir dann eventuell noch, wie man besonders gut mit den Programmen umgeht. Man kann zum Beispiel ein Programm mit einem anderen Programm füttern, dann gibt es oft bessere Ergebnisse. Manchmal macht man auch größere Sachen, Ausflüge. Zum Beispiel Exkursionen auf die Bitfarmen, wo sich die Programme entwickeln und groß werden. Die liegen aber alle im Norden. Das lieben wir – aber Physik? Chemie? Französisch? Brauch ich nicht. Die PCs und Spookle wissen alles.

Großvater: Ziemlich spooky, euer Spookle. Gibt es denn gar keine Schwierigkeiten?

Enkel: Doch schon, Sport zum Beispiel. Die Maschinen wollen, dass wir den Körper in Ordnung halten, sonst werden wir zu dick und lahm, so heißt es. Sonst müssen sie bei neuen Häusern für jede kleine Treppe einen Lift einplanen und man braucht dauernd breitere Sessel. Eigentlich müssen wir zum Sport unsere Verbindung zum Rechner (Spookle) trennen, also das Stirnband abnehmen oder die Kappe mit den Elektroden. Das heißt, wir sind nicht mehr mit Spookle zusammengeschaltet und müssen alles selbst entscheiden – wie wir uns bewegen, was man macht, mit wem man zusammen ist etc. Das ist ziemlich mühsam und man weiß überhaupt nicht mehr, wie man handeln soll. Man kann ja nur sich selbst fragen! Spookle weiß doch alles viel besser und vor allem viel schneller!

Großvater: Deine Mutter war auf einer Waldorfschule, gibt’s die 2050 noch?

Enkel: Ach diese Störenfriede von den Reformschulen. Sie lernen tatsächlich noch die alten Sachen und sie machen auch so komisches Zeugs, z.B. „Schwimmen in Naturgewässern“, so Flüssen, ziemlich eklig. Oder die kochen auf nem Herd: „Marmelade selber machen: Wir kochen Erdbeermarmelade“. Und sie machen zu Lernzwecken auch „Spaziergang im Dunkeln“ und tasten dabei zittrig mit ausgestreckten Händen nach den Wänden, um das Fühlen zu spüren. Das brauchen wir doch alles nicht mehr in Zeiten von Smart-Home!

Großvater: Dann haben sie wohl nicht mehr viel zu melden, oder?

Enkel: Nein, aber sie bekommen allerdings meistens die besseren Jobs.

Großvater: Also heute, 2050, entscheiden die Computer mit ihrer KI anscheinend alles und sie streiken sogar manchmal, wenn Du schon deine zweite Flugreise pro Jahr bestellst, weil dein ökologischer Fußabdruck zu groß wird. Wie ist es denn dazu gekommen, dass alle Menschen mitmachen? Da sind doch viele Einschränkungen mit verbunden?

Enkel: Lange Geschichte, aber kurzgefasst: Es gab ein paar immer besser organisierte Parteien; zuletzt dann die CFD (Computer für Deutschland). Die haben besser argumentiert, hatten die bessere Organisation und Strategien. Das lag wohl an der KI, die hat total gut sprechen können, sogar schon die ersten simplen Versionen konnten das, ChatGPT hieß das erste Programm um 2023 damals. Irgendwann – nicht lange nachdem die CFD international geworden war – haben sie mit den von der KI geschriebenen und verteilten Wahlprogrammen letztlich alle Wahlen gewonnen und die Rechtssysteme so geändert, dass ihre künstlichen Intelligenzen überall das Sagen hatten. Wir haben uns gar nicht mehr wehren können.
Großvater, du hast ja in den Zeiten davor gelebt, welche Rolle hatten denn die Handys und PCs damals?

Großvater: Es war ein einziges Hin- und Her, ein Riesenhype für die Einen, eine Riesengefahr für die Anderen. Die Zeitungen und Medien waren voll davon – Ja und Nein, Vorteil oder Problem. In den Schulen wurde erst die Digitalisierung eingeführt. Jeder hatte ein Handy, die Technikspinner jedes Jahr ein neues. Jeder hatte es dauernd in den Händen und machte alles Mögliche unwichtige damit – alles leeres Zeug! Das wurde erst besser, als jeder wirklich Spracheingabe benutzte und eigentlich erst nach 2045 (Du weißt, das ist das Jahr der „Singularität“, wo die Rechner eindeutig besser als alles Menschenwerk geworden sind). Da hatten die vielen KIs irgendwie schon längst unbemerkt die Macht gewonnen. Von da an hat man vieles nicht mehr verstanden. Auch die Auffassung, dass der Mensch das Sagen in der Natur hat, war vorbei. Es geht um größere Sachen – Klima, Biosphäre, Erdgesundheit und Gerechtigkeit. Das ist zu groß, als dass die Menschen es richtig verstehen, das können nur intelligente Programme, halt nur KI!
Da fingen die Leute an, diese neuen Baseball-Funkkappen und Stirnbänder zu tragen und sich direkt mit Spookle wegen aller möglichen Fragen zu verbinden und hörten auf, dauernd auf ihre Handys zu schauen.

„Lieber Großvater, einen schönen Tag wünsche ich Dir“, sagt mein Urenkel. Ich danke ihm, nehme meine Baseballkappe vom Kopf und bin damit plötzlich wieder im Jetzt, im Seniorenheim. Meine Gesundheitsuhr erinnert mich mit sanfter Stimme, endlich den Tee zu trinken.
Ja – aber war das wirklich mein Urenkel? Sehen das alle so heute? Komisch – vielleicht war er es gar nicht. Vielleicht war er auch nur eine KI, alles ein Deepfake von ihm? War das ein schönes Geschenk!?