Spätestens seit ChatGPT ist künstliche Intelligenz als Thema allgegenwärtig. Doch die Anwendungen werden immer besser und vielseitiger – und damit wachsen auch die Herausforderungen.
„KI ist eine Schlüsseltechnologie und als solche Ausgangspunkt für zahlreiche Entwicklungen, Innovationen und Produkte. Sie birgt als breit einsetzbares Werkzeug enorme Chancen für Wissenschaft, Wachstum, Wohlstand, Wettbewerbsfähigkeit und gesellschaftlichen Mehrwert“,
heißt es von Seiten des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Tatsächlich sind sämtliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz für die Menschheit in ihrer Komplexität noch nicht seriös vorhersehbar. Dafür verläuft die voranschreitende Leistungsfähigkeit zu rasant ab. Doch selbst die aktuelle Momentaufnahme lässt keinen Zweifel daran, wie stark der Einfluss auf unseren privaten wie beruflichen Alltag schon in naher Zukunft sein wird – und teilweise bereits ist.
Künstler und Künstlerinnen schlagen Alarm
Beispiele gefällig? Die spanische Werbeagentur The Clueless hat Ende des Jahres 2023 ein KI-Model erschaffen, das sich seither auf der Plattform Instagram in typischer Influencer-Manier präsentiert: Aitana Lopez, so der Name der „virtuellen Seele“, wirbt unter anderem für Nahrungsergänzungsmittel, posiert am Strand oder im Fitnessstudio. Dass die Dame nur digital existiert, scheint nicht jeder zu realisieren – oder bewusst zu ignorieren. Rubén Cruz, Mitgründer der Agentur, erklärte in einem Interview, wie es zu dem Entschluss kam ein KI-Model zu nutzen: „Wir haben analysiert, wie wir arbeiten, und festgestellt, dass viele Projekte auf Eis lagen oder abgebrochen wurden aufgrund von Problemen außerhalb unserer Kontrolle.“ Aitana hingegen ist immer verfügbar, verursacht keine Kosten – und altert nicht.
Das Altern ist auch ein Thema in der Filmbranche. Längst ist es technisch möglich ein digitales Abbild eines Stars zu erstellen, damit er oder sie noch in Jahrzehnten optisch unverändert in die Rolle schlüpfen kann. Weil künstliche Intelligenz auch ganze Dialoge und Handlungen schreiben kann, gab es in den USA im vergangenen Jahr einen Doppelstreik der Schauspieler:innen und Drehbuchautor:innen. Der wurde schließlich mit zugesicherten Schutzmaßnahmen gegen die Auswirkungen von KI beendet. Bei Musikschaffenden ist der Blick in die Zukunft ebenfalls skeptisch. Mehr als 200 Stars, darunter etwa Stevie Wonder oder Billie Eilish, verfassten einen offenen Brief, in dem sie von einer „existenziellen Bedrohung“ für die Kunst sprechen.
Alternative Realitäten durch Deepfakes
Bedrohlich für das gesellschaftliche Zusammenleben und demokratische Prozesse ist hingegen das Aufkommen von KI-generierten Fake News. Selbst ohne künstliche Intelligenz fanden bewusst verbreitete Falschmeldungen im Internet einen allzu geeigneten Nährboden. Die Möglichkeit in Sekundenschnelle täuschend echt wirkende Bilder und Videos zu erstellen, hievt das Manipulationspotenzial auf ein völlig neues Level. Vor allem Deepfakes (Kofferwort aus den Begriffen Deep Learning [abgeleitet von tiefen neuronalen Netzen – deep neural networks] und Fake) bergen eine große Gefahr, wenn sie mediale Identitäten fälschen.
Die Künstlergruppe Zentrum für politische Schönheit veröffentlichte etwa ein Video, in dem Olaf Scholz scheinbar eine Regierungsansprache hält und von einem Verbot der Alternative für Deutschland (AfD) spricht. Beim unreflektierten Betrachten wirkt die Aufnahme seriös. Erst beim genaueren Hinschauen fallen Ungereimtheiten auf. Ähnlich perfide sind Betrugsmaschen, die bekannte Medienmarken imitieren und im Stile eines klassischen journalistischen Beitrags Unwahrheiten verbreiten. Ein bekannt gewordener Clip zeigt beispielsweise angeblich das heute journal des ZDF mit Christian Sievers – doch seine Stimme wurde lediglich imitiert.
KI-Verordnung soll für mehr Transparenz sorgen
Solche Fälle gibt es unzählige Male im Netz. Noch unterscheidet sich die „Qualität“ teilweise deutlich. Nichtsdestotrotz ist die Tendenz klar: Fake News werden immer schneller und technisch immer raffinierter. Patrick Gensing, ehemaliger Leiter des Onlineportals faktenfinder, prognostizierte 2020:
„Die Deepfakes öffnen das Tor zu einer Welt, in der nicht nur ‚alternative Fakten‘ kursieren, sondern möglicherweise eine ganze alternative Realität.“
Um das zumindest einzudämmen, geht es nur mit Anstrengungen auf allen Ebenen und gemeinsam mit allen Akteuren.
Auf politischer Seite tritt beispielsweise ab 2026 die KI-Verordnung in der EU in Kraft. Sie schreibt vor, dass KI-Anwendungen nicht missbraucht werden dürfen, vor allem nicht zur Beeinflussung des Verhaltens von Personen. Zusätzlich gibt es die Pflicht zur Transparenz: Künstlich erzeugte oder bearbeitete Bilder, Videos und Tonspuren müssen unmissverständlich gekennzeichnet sein. Technologie-Unternehmen haben sich darüber hinaus selbst verpflichtet die negativen Begleiterscheinungen von KI einzudämmen. Vor allem im Superwahljahr 2024 und darüber hinaus sollen Deepfakes besser gefiltert und gekennzeichnet und neue Werkzeuge zum Erkennen entwickelt werden. Dennoch ist jeder Verbraucher und jede Verbraucherin auch einzeln gefordert. Medienkompetenz ist wichtiger denn je.
Autor: Daniel Lehmann